Über 140 der weltbesten Wildwasser-, Slalom und
Freestylepaddler aus 26 Nationen hatten sich an diesem
Wochenende im beschaulichen Örtchen Oetz versammelt, um auf
dem als Wellerbrücke bezeichneten Abschnitt der Ötztaler
Ache, einer der schwierigsten und legendärsten
Wildwasserstrecken der Welt, um Weltmeisterehren zu
kämpfen.
In zwei Qualifikationsrunden wurde das Starterfeld zunächst
auf 90 und dann auf 45 Athleten reduziert, denn die
Wellerbrücke ist massives Wildwasser der Stufe 5, das heißt
sowohl technisch schwierig als auch gefährlich. Fehler haben
Konsequenzen. Daher dürfen nur die besten und fittesten
Paddler auf die eigentliche Rennstrecke, die in Kajakkreisen
auch als die Eiger Nordwand des Wildwassersports bezeichnet
wird. Die Top 3 des Vorjahres – Sam Sutton (NZL), Michele
Ramazza (ITA) und Lukas Kalkbrenner (GER) waren automatisch
für das Finale gesetzt, mussten jedoch ebenfalls die
Qualifikation bestreiten, um in das „Head-to-Head“-Raster
eingeordnet zu werden, denn im Viertel- und Halbfinale treten
die Paddler in einem K.O.-Format gegeneinander an. Der
schnellste der Qualifikation duelliert sich in einer Paarung
mit Platz 48, der zweitschnellste mit Platz 47, und so
weiter. Der jeweils schnellere Kajaker eines Heats kommt eine
Runde weiter. Darüber hinaus qualifizieren sich auch die zwei
Zeitschnellsten der ausgeschiedenen Athleten als „Lucky
Loser“ für die nächste Runde.
Im Vergleich zum Vorjahr war der Wasserstand an der
Wellerbrücke etwas höher, was die spektakuläre
Wildwasserrennstrecke noch schneller machte. Bereits im
Viertelfinale fielen die ersten Streckenrekorde. Der
25jährige Russe Egor Voskoboynikov aus Moskau, der
überraschend die Qualifikation gewann, begeisterte die
Top-Athleten aus aller Welt mit der schnellsten
Viertelfinalzeit (58,58).
Doch der neue Streckenrekord war nicht von Dauer. Im
Halbfinal-Heat traf der amtierende Weltmeister Sam Sutton auf
seinen ein Jahr jüngeren Bruder Jamie, der ihm nicht nur wie
aus dem Gesicht geschnitten, sondern ein genauso
hervorragender Wildwasserpaddler ist. Angespornt durch das
Bruderduell gab Sam Sutton alles und beendete seinen Lauf in
der unglaublichen Zeit von 56,41. Damit startete er als
letzter im Finale der Top 15.
Den fünfzehn Finalisten aus elf verschiedenen Nationen war
klar, wenn der Neuseeländer in seinem letzten Lauf noch
einmal eine solche „Sickline“, eine so perfekte, flüssige und
schnelle Linie durch die technisch schwierigen Stromschnellen
hinzaubern könnte, würde er kaum zu schlagen sein, obwohl
dieses Jahr gleich mehrere Athleten in ihren Läufen die
1-Minuten Schallmauer durchbrechen konnten.
Der amtierende Extremkajakvizeweltmeister Michele Ramazza
(26) aus Bologna in Italien war hoch motiviert, sich in
diesem Jahr um einen Platz zu verbessern und den Titel zu
holen. Er erwischte einen guten Start und manövrierte sich
extrem schnell flüssig durch den oberen Teil der Strecke.
Doch aufgrund eines kleinen Fehlers im turbulenten Kernstück
musste er rollen, was ihn den Sieg kostete. Ramazza wurde
achter mit einer immer noch hervorragenden Zeit von 58,96.
„Ich hatte einen wirklich guten Lauf, abgesehen von einem
kleinen Fehler. Doch ich hatte eine Superzeit, daher bin ich
zufrieden. Die Sickline WM ist derzeit das wichtigste Rennen,
es sind so viele gute Leute hier und es ist wirklich ein
hervorragende Strecke, hier wächst jeder über sich hinaus.“
Der 24jährige Paul Böckelmann, Deutscher Meister im
Kanu-Slalom 2010 und neunter des Vorjahres, hatte im Finale
mehr Glück. Er zeigte einen kraftvollen und fast fehlerlosen
Lauf und setzte sich mit einer Finalzeit von 58:03 an die
Spitze. Damit durfte er es sich im Hot Seat Whirlpool bequem
machen. Doch der Dresdner, der in Augsburg lebt und
trainiert, musste seinen Platz an der Seite von Miss Tirol
2009, Christina Keil, schon vier Läufe später wieder räumen.
Mike Dawson aus Neuseeland, der sich vor drei Wochen für die
Olympischen Spiele in London (Kanuslalom) qualifizieren
konnte, war genau drei Hundertstel schneller (58,0). 2009
hatte der 25jährige die Silbermedaille bei der adidas
Sickline WM gewonnen, letztes Jahr patzte er in seinem
Finallauf, musste im Kernstück rollen und wurde gleich darauf
vom sogenannten „Champions Killer“, der letzten drei Meter
hohen Stufe auf der legendären Rennstrecke, ausgebremst.
Dieses Jahr blieb er jedoch bis auf ein paar touchierte
Felsen fehlerfrei und durfte im Hot Seat darauf warten, ob
die anderen Finalisten seine Zeit unterbieten würden. Das
schaffte niemand. “Nachdem letztes Jahr alles schief ging,
wollte ich heute einfach nur ein gutes Rennen abliefern“,
sagt Dawson im Zeil. „Dieser Strecke muss man einfach Respekt
zollen, vor allem darauf ein Rennen von einem solchen Format
auszutragen. Und dass die Jungs nur Hundertstel auseinander
liegen, zeit, dass das Niveau mit jedem Jahr steigt und das
finde ich großartig.“
Schließlich richteten sich alle Augen auf seinen Landsmann,
Vorjahressieger Sam Sutton. Würde er es schaffen, seinen
Weltmeistertitel zu verteidigen? Oder hatte er sein
Kontingent an perfekten Läufen bereits aufgebraucht. Der
23jährige Ausnahmepaddler hatte bereits im Halbfinale einen
neuen Streckenrekord aufgestellt. Und auch in seinem
Finallauf schoss der Neuseeländer wie ein Torpedo durch das
Wasser und machte mehr als deutlich, dass er in einer anderen
Liga paddelt, denn in jedem seiner Läufe fand er die
„Sickline im massiven Wildwasser. Mit einem neuen
Streckenrekord von 55:84, fast zweieinhalb Sekunden schneller
als der zweitplatzierte Mike Dawson, sicherte sich Kiwi Sam
Sutton zum zweiten Mail in Folge die Goldmedaille und den
adidas Sickline Weltmeistergürtel.
„Als führender ins Finale einzuziehen und damit als letzter
zu starten ist immer schwer, denn der Druck ist immens. In
den letzten Jahren hatten die Jungs in der Pole Position
eigentlich nie an ihre Leistungen im Halbfinale anknüpfen.
Doch das habe ich versucht auszublenden und ich bin
superzufrieden mit meinem Lauf. Man muss einfach versuchen
beständig und flüssig dadurch zu kommen.“
Wie hoch die Leistungsdichte bei der diesjährigen Extreme
Kayak World Championship tatsächlich war, zeigt ein Blick auf
die Ergebnisliste: die Zeiten von Platz 2 (58,0) bis Platz 8
(58,96) liegen innerhalb von nur einer Sekunde.
Ergebnisse unter www.adidas-sickline.com
